Es sind Würfe, die uns Clemens Denk in seinem neuen Album Reserviert vorwirft. Kurze Würfe, mittlere Würfe, weite Würfe in Richtung eines Ziels, das wir alle noch nicht kennen. Immer am konkreten, am greifbaren Gegenstand erzählt der beinahe singende Dichter hier aus seinem Alltag zwischen dem Versuch der Empathie mit allem und jedem – und ihrer Zurückweisung von allem und jedem. Objektive Liebeslieder mit subjektivem Flirtfaktor, könnte man sagen, wenn das Wort Liebeslied nicht so abgewirtschaftet hätte.
Und genau das scheint mir der …
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Es sind Würfe, die uns Clemens Denk in seinem neuen Album Reserviert vorwirft. Kurze Würfe, mittlere Würfe, weite Würfe in Richtung eines Ziels, das wir alle noch nicht kennen. Immer am konkreten, am greifbaren Gegenstand erzählt der beinahe singende Dichter hier aus seinem Alltag zwischen dem Versuch der Empathie mit allem und jedem – und ihrer Zurückweisung von allem und jedem. Objektive Liebeslieder mit subjektivem Flirtfaktor, könnte man sagen, wenn das Wort Liebeslied nicht so abgewirtschaftet hätte.
Und genau das scheint mir der Antrieb Denks zu sein: zu erkunden, warum wir in Sachen Zuneigung, und zwar nicht nur zu den Menschen, an denen wir uns bereits mehr verzweifelt als verliebt festhalten, sondern auch zu den kleinen käuflichen Dingen, die zu kaufen ja gar nicht so selbstverständlich ist, so schwer tun. Die Dinge. Ohrring, Dreimeterstab, Schlachthaus, Kneipe, Schuh, Zimmer, Stradivari, Scherbe, Suppe, Sänger. Von Denk gerendert in Alltagssprache. Hier könnte man zu punkten versuchen, indem man anmerkt, dass diese Lyrikmethode der Innenbeschreibung durch Außenandeutung einen Seitenstrang des Blues fortsetzt und da auch gleich den großartigen „Jumper on the Line“ von R.L. Burnside nennen. Trotzdem bleibt die Frage, warum diese Dinge und keine anderen? Und warum kaufen und nicht ausborgen? Und warum nicht lieben?
Hach, ich weiß es auch nicht, niemand weiß es, und so treffen mich Denks Würfe als leere Zielscheibe, die bunt in den Farben der ganzen, erbärmlichen Welt strahlt. Schaut, wie gut er werfen kann! Wenn Würfe treffen, nennt man sie „Hits“, auch so ein Ding, das wir nicht mehr schätzen können. Und doch: Das „Leberblümchen“ strahlt wie das B von Bass, die „Gischt“ wie dein Gesicht, der „Robert“ wie der flotte Anzugmann von OKCupid, pittoresk konsumierender Vollstreckerschlappi des Abgesangskapitalismus. Denk kehrt ihm die Brösel unter dem Tisch zusammen.
Man sollte, finde ich, in den künstlich kindlichen, eindringlich simplen und lautmalerischen Beschreibungstexten Denks weder konkreten Rap oder Sprechgesang noch naive Liebesdudelei in dinglich cooler Form hören. Und sagen Sie niemals Postpunk zu ihm! Es sind kritische Lieder und Aperçus eines politisch sensiblen Nonkonformisten, mit der selbstkritischen Emphase des Spiegels vorgetragen, Protestlieder gegen das eigene Ich, das sich als solches, als kaufendes, als amputiertes, als reserviertes nicht mehr erkennen will, weil es schon im kommenden Zeitalter lebt.
In der Phantasie.
Thomas Raab, November 2020
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